Ein Stundenlohn von nur 3,40 Euro ist in Deutschland sittenwidrig und unwirksam
Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (Az. 15 Sa 2258/15)
Seit Jahren grassiert in Deutschland ein Streit über den sogenannten Stundenlohn. Endlich konnte im Jahr 2014 ein gesetzlicher Standard über den Mindestlohn geschaffen werden, die entsprechende Regelung trat Anfang 2015 in Kraft.
Doch wie verhält es sich mit Löhnen, die vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes beschlossen und/oder bezahlt wurden. Es gibt es auch hier Grenzen für einen Mindestlohn, bei deren Unterschreiten der Arbeitgeber (auch nachträglich) juristisch zur Rechenschaft gezogen werden kann? Mit diesem schwierigen Sachverhalt hatte sich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zu beschäftigen.
Es ging darum, dass ein Arbeitgeber in den Jahren 2011 bis 2014 einem Angestellten für eine monatliche Arbeitszeit von 35-40 Stunden einen Gesamtlohn von gerade einmal 136.- Euro pauschal auszahlte. Mehr Details zu diesem Fall nach dem folgenden Einschub, der für das Verständnis des aktuellen Mindestlohns in Deutschland wichtig ist:
Einschub: Das Mindestlohngesetz in Deutschland
Seit 1. Januar 2015 gilt in Deutschland das Mindestlohngesetz (Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns). Im Rahmen dieses Gesetzes ist für Arbeitnehmer und auch für den Großteil aller Praktikanten ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro vorgeschrieben. Dieser gilt deutschlandweit als allgemeiner Mindestlohn. Allerdings gibt es eine Art Übergangsphase, die bis zum Jahr 2017 andauert und in der gewisse Ausnahmen von der neuen Regelung zugelassen sind.
Grundsätzlich gilt in diesem Zusammenhang: Sofern in bestimmten Branchen ein höherer als der allgemeine Mindestlohn rechtlich verankert ist, verdrängt der allgemeine Mindestlohn diesen nicht. Er bleibt also unverändert bestehen. Für die Übergangszeit bis Ende 2017 gilt: Die Branchenmindestlöhne dürfen bis zum Stichtag noch niedriger sei als der allgemeine Mindestlohn. Anspruch auf den gesetzlich festgelegten Mindestlohn hat jeder volljährige Arbeitnehmer. Auch Praktikanten haben Anspruch auf den Mindestlohn, sofern sie eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten bzw. Erfahrungen zu erwerben. Es muss sich dabei nicht um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) handeln.
Nicht anspruchsberechtigt sind jedoch Schüler und Studenten sowie Absolventen eines Orientierungspraktikums mit einer Dauer von maximal drei Monaten. Zudem fallen von der Arbeitsagentur geförderte Maßnahmen zum Erwerb einer Einstiegsqualifikation ebenfalls nicht unter das neue Mindestlohngesetz. Für Arbeitnehmer, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung länger als ein Jahr arbeitslos waren, gilt: Während der ersten sechs Monate der Beschäftigung gilt der Mindestlohn in diesem Fall noch nicht. Schlussendlich haben Untersuchungs- oder Strafgefangene, die innerhalb von Haftanstalten arbeiten, ebenfalls keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.
So viel zu den grundsätzlichen gesetzlichen Regelungen im Bereich des Mindestlohns.
Kommen wir nun zurück zu dem angedeuteten Gerichtsprozess:
Kläger war in diesem Fall ein Jobcenter, das einen Arbeitgeber aufgrund angeblich sittenwidriger Löhne vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verklagte. Es ging dabei um zahlreiche Fälle, die in den Jahren 2011 bis 2014 entstanden sind. In dieser Zeit hatte das Jobcenter Leistungen zur Grundsicherung an eine Arbeitnehmerin ausgezahlt, die zudem als Auslieferungsfahrerin in einer Pizzeria in Brandenburg arbeitete. Dabei wurde eine Arbeitszeit von 35 bis 40 Stunden pro Monat vereinbart, für die die Arbeitnehmerin den bereits erwähnten Lohn in Höhe von 136.- Euro pro Monat erhielt.
Als das Jobcenter von diesem Beschäftigungsverhältnis erfuhr, rügte es den Arbeitgeber aufgrund des sittenwidrigen Arbeitslohns und verklagte diesen schließlich. Gegenüber dem Gericht führte der Rechtsvertreter des Jobcenters aus, dass eine Vergütung, wie sie bei der hier beschriebenen Arbeitnehmerin vorliegt, als sittenwidrig niedrig zu bezeichnen sei. Hätte der Arbeitgeber eine für diese Beschäftigung übliche Vergütung gezahlt, wären geringere Zuschüsse zur Grundsicherung seitens des Jobcenters notwendig gewesen. Daher klagte das Jobcenter auf Erstattung der Differenz durch den Arbeitgeber – insgesamt belief sich dieser Betrag auf rund 5.750 Euro.
Die Richter am Landesarbeitsgericht stellen fest: Bei dem berechneten Lohn in Höhe von 3,40 Euro handele es sich um einen Hungerlohn. Errechnet man daraus eine fiktive Vollzeittätigkeit, so könne der Arbeitgeber in keinem Fall davon leben. Da die Vereinbarung von Hungerlöhnen nach deutschem Recht sittenwidrig sei, seien sie gleichfalls ungültig. Somit sei auch der zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossene Arbeitsvertrag ungültig.
Bei der darauf folgenden Berechnung eines nicht sittenwidrigen Stundenlohns für die hier betroffene Arbeitnehmerin bezogen sich die Richter auf die Feststellungen des statistischen Landesamtes. Dabei wurde ein Mindestlohn für das Jahr 2011 in Höhe von 6,77 Euro festgelegt, der sich bis zum Jahr 2014 auf 9,74 Euro steigert.
Das Urteil: Der Klage durch das Jobcenter wurde stattgegeben, der ehemalige Arbeitgeber der Betroffenen muss die Differenz zwischen dem im Rahmen der Gerichtsverhandlung festgelegten Mindestlohn und dem tatsächlich gezahlten Lohn erstatten.
Meinung zum Urteil:
Mittlerweile gibt es – wie bereits erwähnt – in Deutschland den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Zwar befinden wir uns momentan noch in der Übergangsphase (bis Ende 2017), in der noch nicht alle neuen Regelungen zu 100 % greifen, dennoch ist ein guter Anfang damit gemacht. Für zurückliegende Fälle bringt die neue Regelung jedoch nichts. So dachten zumindest die meisten Menschen, welche bislang mit einem solchen Fall in Berührung kamen. Dass es auch anderes geht, zeigt der hier dargestellte Fall.
Allerdings muss fairerweise nochmals erwähnt werden, dass der Kläger hierbei ein Jobcenter war. Ob das Urteil also genauso gesprochen worden wäre, wenn ein Arbeitnehmer geklagt hätte, ist durchaus als unsicher anzusehen. Es bleibt somit abzuwarten, welche Urteile andere, ähnlich gelagerte Prozesse hervorbringen.